Klima persönlich

Von Dominic Senn

Wir stecken in einer tiefen Umweltkrise, nur merken wollen wir es nicht wirklich. Für eine Lösung schauen wir auf die Politik. Deren mehrheitsfähige Ideen beschränken sich auf Symbolpolitik, effektive Ansätze leben in politischen Nischen, ohne Chance auf Umsetzung. Druck auf die Politik ist richtig, aber keine Entschuldigung für ein Weiter-wie-Bisher in unserem eigenen Leben. Wir müssen den Blick zurück auf uns nehmen. Was können wir im Privaten tun, damit wir den nötigen Verzicht umsetzen?

Um die Erwärmung der Welt auf 1,5 Grad zu beschränken, muss der weltweite CO2-Ausstoss bis 2030 um 55 Prozent und bis 2050 auf Null reduziert werden. Wenn die 1,5 Grad überschritten werden, sind die Konsequenzen gravierend bis katastrophal. Gravierend heisst, dass weite Küstenregionen, in denen heute Millionen von Menschen leben, überflutet werden. Dürren und andere extreme Wetterphänomene nehmen stark zu. Katastrophal heisst, wir setzen unumkehrbare Kettenreaktionen in Gang, die grossen Teilen der Menschheit die natürliche Lebensgrundlage entziehen. 

Diese Beschreibung ist keine Panikmache, sondern Konsens der führenden Klimaforscherinnen und Klimaforscher. Das Problem ist ernst, todernst. Es ist schwer, ein anderes Problem zu finden, das die Zukunft unserer Kinder direkter bedroht als der Klimawandel. 

Die nötige Reduktion der CO2-Emissionen um 55 Prozent bis 2030 ist drastisch, zumal in den letzten zehn Jahren der CO2-Ausstoss Jahr für Jahr gewachsen ist. Selbst wenn die Versprechen des Pariser Klimaabkommens umgesetzt werden – was nicht realistisch ist -, steigen die Temperaturen ohne weitere Massnahmen bis Ende des Jahrhunderts um 3,2 Grad. 

Eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen ist in den nächsten Jahrzehnten nicht realistisch, wie eine Vielzahl von empirischen und theoretischen Studien überzeugend darlegen. Wenn wir die Emissionen rasch und substantiell reduzieren wollen, geht das deshalb nicht ohne Reduktion der Wirtschaftsleitung. Das bedeutet Verzicht.

In dieser Situation auf die Politik zu zeigen bringt wenig. Solange wir nicht verzichten wollen, ist in einem demokratischen System jedes politische Programm, das Verzicht einfordert, chancenlos. Es braucht einen grundsätzlichen Wandel der Lebenseinstellung und eine breit getragene Selbstbeschränkung. In den Worten des deutschen Umweltökonomen Niko Paech: «Souverän ist nicht mehr der, der viel hat, sondern der, der wenig braucht.»

Wie ist ein solcher Mentalitätswandel möglich? Wie kann Verzicht gehen? Wie könnten wir es schaffen, unseren CO2-Ausstoss von heute 14 Tonnen pro Jahr und Person in der Schweiz auf nachhaltige 2,7 Tonnen pro Jahr zu senken?

Ich denke, das ist die entscheidende Frage unserer Zeit. Leider fehlen uns überzeugende Antworten. Ich möchte aber trotzdem zwei, drei Ansatzpunkte aufführen, die uns bei der Suche nach einer Antwort weiterhelfen könnten. 

Der erste Punk ist Einsicht. Wir alle kennen Momente, in welchen uns sehr klar wird, was richtig und was falsch ist und was entsprechend zu tun wäre. Diese Momente sind wertvoll, hier entscheiden wir uns, neue Wege einzuschlagen. Filme, Vorträge, Gespräche, Bücher, etc. bereiten den Boden für solche Momente der Einsicht. 

Die Menschen müssen innehalten und hinschauen. Dann ist es offensichtlich, dass unser heutiges Konsumverhalten nicht haltbar ist. Wir verbrauchen in der Schweiz Jahr für Jahr fünfmal mehr ökologische Ressourcen als uns zustehen, sprich, nachhaltig wären. Wir häufen riesige Schuldenberge an und schieben sie einfach ab, in die Zukunft auf unsere Kinder und geografisch auf Menschen, die heute schon unter den Folgen der Übernutzung leiden.

Der zweite Punkt sind soziale Erwartungen. Wir Menschen sind soziale Wesen. Unser Handeln wird massgeblich durch die Erwartungen unseres Umfelds bestimmt. In einer Welt, in der die Menschen glänzen, die viel haben und viel rumkommen, ist Verzicht äusserst schwierig. Hier braucht es mutige Menschen, die andere Erwartungen formulieren und offensiv vertreten. Immer häufiger muss die Reaktion auf eine Reise nach Südafrika oder einen Kauf eines neuen SUV so ausfallen, als hätte jemand ein paar Fässer Giftmüll verbuddelt. 

Der dritte Punkt ist Fürsorge. Verzicht zu Gunsten der eigenen Kinder oder Grosskinder ist tief in uns angelegt. Hier sind wird handlungsfähiger als wenn es um Menschen geht, die wir nicht kennen oder die noch gar nicht geboren sind. 

Kaufkräftige, konsum- und mobilitätsfreudige Erwachsene sind die hauptsächlichen Klimasünder, ihre (Enkel-)Kinder die hauptsächlichen Leidtragenden. Immer mehr dieser Leidtragenden wird durch die Climate-Strike-Bewegung klar, dass der CO2-Fussabdruck der heutigen Erwachsenen ihre Zukunft direkt gefährdet. Hier gibt es auf der Beziehungsebene Raum für einen Vertrag zwischen den Generationen. 

Wie könnte ein auf obigen Punkten aufbauendes, effektives System der Selbstverpflichtung aussehen? Die Älteren verpflichten sich gegenüber ihren (Enkel-)Kindern, Nichten und Neffen zu einer Reduktion des CO2-Ausstosses. Die konkreten Massnahmen werden festgehalten. Ideal sind Massnahmen, deren Umsetzung einfach nachvollzogen werden kann. Klappt die Umsetzung nicht, wird eine substantielle Zahlung an ein CO2-Kompensationsprojekt vereinbart.

Der Vertrag kann auf einer digitalen Plattform festgehalten und allenfalls auch öffentlich gemacht werden. Neben Vertragsvorlagen, Vorschlägen für mögliche Reduktionsmassnahmen könnte eine solche Plattform auch weitere Funktionen beinhalten wie Erinnerungsfunktionen, Tipps, Freigabe von voreingezahlten Kompensationszahlungen und viele mehr. 

Klima muss persönlich werden. Selbstverpflichtung zu Gunsten unserer Kinder kann allenfalls funktionieren. Auf der anderen Seite müssen die Kinder und Jugendlichen nicht nur von der Politik fordern, sondern auch von ihren Eltern, Grosseltern, Tanten und Onkeln. 

Sie bestimmen die Politik massgeblich, kaufen sich neue Autos, fahren tausende von Kilometern, wohnen in viel zu grossen Wohnungen und Häusern, machen Kreuzfahrten, fliegen um die halbe Welt und kaufen sich ständig neuen Weihnachtsschmuck, obwohl der Estrich noch voll ist.